Die Geschichte von Borkwalde

Unser bunter Ort zum Leben hat eine vergleichsweise kurze Geschichte. Die meisten Dörfer unserer Region, z. B. Alt-Bork und Deutsch-Bork (Bork =  Siedlung am Nadelwald) oder die für die Entstehung von Borkwalde wichtigen Nachbarorte Busendorf und Kanin, gründeten sich im Zuge der zweiten Phase der feudalen deutschen Ostexpansion zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert, als die hier ansässigen Slawen teilweise von den Deutschen verdrängt wurden, sich teilweise mit ihnen vermischten und während der auch die Mark Brandenburg entstand.

Mit mehreren Kolonien wurde Borkwalde von 1912 bis Anfang der 1930er Jahre als Ortsteile der bis „9. Junius im Jahr der Gnade 1815“ zu Sachsen gehörenden Enklave-Dörfer Busendorf und Kanin in besonderer, von der Landesregierung streng vorgegebener, geregelter und überwachter Struktur mitten im Märkischen Heideland und Wald ausschließlich von Berliner Großstädtern besiedelt. Die hiesige Gegend war durch die hochmodernen LVA-Arbeiter-Lungenheilstätten Beelitz-Heilstätten bekannt.

Im Rahmen dieses Ansiedlungsgesetzes unter „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden“ entstand bereits wenige Jahre zuvor die heutige Gemeinde Fichtenwalde als Ortsteil von Klaistow (bis 1815 ebenfalls sächsisches Enklavedorf) und Borkheide auf der Gemarkung Alt-Bork und Schäpe. Hintergrund war vor allem die knappe Lebensmittelversorgung und große Wohnungsnot in Deutschland sowie die katastrophalen Wohnverhältnisse in den großstädtischen Mietskasernen, wie z. B. in Berlin. Die „großstädtischen Elemente“ (gemeint waren die Siedler nach dem Ansiedlungsgesetz) mit ihren erzwungenen Siedlungen waren hier nicht willkommen, da sie den kleinen dörflichen Muttergemeinden viel abverlangten und über Jahre viel Geld kosteten.

Da der Preußische Staat kein geeignetes Siedlungsland zur Verfügung stellen konnte, kauften so genannte „Grundstücksschlächter“ (= Bodenspekulanten) von hiesigen Bauerngutsbesitzern Wälder und Heidelandschaften zwecks Parzellierung und Vermarktung mit großen Gewinnen auf, die jedoch für eine dauerhafte Besiedlung in der Märkischen „Streusandbüchse“ denkbar ungeeignet waren. Um die „Ansiedlungslustigen“ – wie diese Siedler staatlicherseits genannt wurden – beim Kauf solcher Grundstücke vor finanziellen Risiken und unüberlegten Handlungen zu bewahren, stand ihnen der Staat mit Informationsmaterial und Beratung aus Fachkreisen zur Seite, zumal diese ohnehin hohe Bedenken hinsichtlich der Kultivierung ehemaliger Wälder und Heidelandschaften zu ertragreichen Gärten zwecks Eigenversorgung hatten. Der Traum vieler Berliner Handwerker, Kleingewerbetreibenden, Arbeiter, Angestellten und schlecht bezahlten Beamten verdrängte jedoch alle Warnungen.

Unsere erste Ansiedlung „Colonie Borkwalde“, entstand auf der Gemarkung Busendorf ab 1912. Es handelte sich um das Gebiet zwischen Birkenallee, Fuchsweg und Am Hirschsprung. Das erste, dauerbewohnte Haus ließ unsere Ortsgründerin Hedwig Bredereck im Möllendorfer Weg bauen (finanziert durch ihren Ehemann Justizrat August Bredereck), das zweite – genannt „Mutters Haus“ – Am Hirschsprung. Hintergrund für den genau dort und nahe Busendorf gewählten Siedlungsstandort war die Planung einer BRENNABOR-Fabrik für Fahrzeugbauteile (mit eventuell späterer Zusammenarbeit mit Hans Grade), deren Hauptwerke sich in Brandenburg/H. befanden. Die Siedlung sollte das neue Zuhause der künftigen Fabrikarbeiter und deren Familien werden. Bei der Eisenbahndirektion erfolgte daher seitens des Verkehrsvereins Bork(heide) 1912 eine Antragstellung zur Verlängerung der Kleinbahnlinie Groß-Kreutz – Lehnin, die über Rädel an der o. a. Kolonie vorbeiführen sollte und am Bahnhof Bork(heide) bis nach Treuenbrietzen, da von dort aus eine Anschlussmöglichkeit nach Jüterbog bestand. Unser erster Siedlungsplan trägt die Bezeichnung „Siedlungsplan der Wetzlaer Eisenbahn Borkwalde“, die bereits ab 1879 in Bork(heide) entlangführte und in hiesiger Gegend unter dem Namen „Kanonenbahn“ bekannt ist.

Borkwalde
Mitte der 1970er Jahre: Das erste von Familie Bredereck-Götting gebaute Borkwalder Haus

Als militärstrategische Strecke gebaut, durch französische Reparationszahlungen finanziert, endete sie in Metz im damals deutschen Reichsland Elsass-Lothringen, das Frankreich nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 für fast 50 Jahre an Deutschland abtreten musste. Die einst abseits der Hauptverkehrswege gelegene Bahnstrecke zwischen Berlin und Metz hat heute keine besondere Bedeutung, Lothringen (Département Moselle) jedoch in der Europäischen Union eine zentrale Stellung, da es im Mittelpunkt des europäischen Achsenkreuzes Berlin – Paris, Straßburg – Brüssel liegt und zur Großregion Saar-Lor-Lux gehört, an der auch Rheinland-Pfalz und Wallonien (Belgien) angeschlossen sind. Wäre die Kanonenbahn nicht gebaut worden, würde Borkheide und Borkwalde heute wahrscheinlich immer noch eine Gegend sein, in der sich nur Hasen und Füchse gute Nacht sagen….

Unsere „Colonie Borkwalde“ befand sich überwiegend in einer Heidelandschaft, so dass damalige Reiseführer Borkwalde als „Märkische Lüneburger Heide mit Millionen von Bienen“ bezeichneten. Es handelte sich um Wildbienen, da Imker samt Honigbienen erst in den 1920er Jahren in die Siedlung kamen. Die Wildbiene ist somit unser historisches Wappentier. Der Antrag zur o. a. Bahnverlängerung wurde 1913 abgelehnt, das BRENNABOR-Werk auch aus anderen Gründen nicht gebaut (u. a. wegen des 1914 beginnenden Ersten Weltkrieges).

Dreizehn Jahre nach Gründung der o. a. Kolonie (die später in „Brederecksche Siedlung“ umbenannt wurde) entstand ab Ende 1925 die zweite und größte Ansiedlung unseres Ortes auf der Gemarkung Kanin, die den Namen „Colonie Saalbergen“ erhielt. In Längsrichtung handelt es sich um das Gebiet von Goethestraße bis Haderlandstieg, in Querrichtung grob von Kaniner bis Schillerstraße. Die Saalberge sind die sanften Hügel entlang der Ernst-Thälmann-Straße zwischen dem heutigen Kreisverkehr im Ortszentrum bis nach Kanin, die durch Eiszeitablagerungen entstanden (Findlinge, kiesiges Geröll, Sand).

Borkwalde
Gemälde der Saalberge Anfang der 1930er Jahre von V. Freitag, hier als Postkarte
Borkwalde
Aufnahme von 2016: Das einstige Wohnhaus des Malers V. Freitag in der Fontanestraße

Die einstigen Bauernwälder in diesem Gebiet waren drei Jahre zuvor von ihrem damaligen Besitzer (der Bork-Boden AG) „großzügig“ zwecks Vermarktung abgeholzt worden, große andere Teile waren Heideland oder mit Baumbestand sehr unterschiedlichen Alters.

Borkwalde
Aufnahme einer der Borkwalder Heidelandschaften von 1927: Hintergrund links: Das „Haus auf der Heide“ einer damals jüdischen Familie in der Fritz-Reuter-Straße; davor ein Haus in der Wielandstraße; ganz links verläuft die Schillerstraße
Borkwalde
Um 1930: Brücker Weg/Ecke Siebenbrüderweg (Südwestseite), Gästeunterkunft für Erholungssuchende 4 km von Bahnhof Bork(heide) entfernt (Gebäude existieren nicht mehr)

Die mageren, sandigen Parzellen verkauften sich wie „warme Semmeln“. Daher erweiterte der neue Investor „Wochenendbund für Sonnabendmittagsschluß“ 1926 das Siedlungsgebiet um einen schmalen Streifen auf der Busendorfer Gemarkung. Dazu gehörte je eine Straßenseite des Busendorfer Weges und der Schillerstraße; außerdem Brigittenweg, Nikolausstraße (heute Nicolaistraße), Annenstieg und je ein kleines Teilstück vom Siebenbrüderweg, Gertraudenstraße (heute Birkenstraße) und Haderlandstieg. Mit dem Zukauf änderte sich auch der Siedlungsname: Aus der „Colonie Saalbergen“ wurde in Anlehnung an ihren Investor nun die „Siedlung Wochenende“.

An den Wochenenden hielten sich laut schriftlicher Überlieferung bis zu 3.000 Menschen als Siedlerfamilien hier und in Bork(heide) auf. Sie bauten, werkelten und zimmerten ihre Holzhäuschen, gruben, buddelten, legten ihre Gemüse-, Obst- und Ziergärten an. Der Lärm hallte von morgens bis abends durch die Kolonie, so dass die zuständigen Ordnungshüter häufig „Gäste“ der Kolonie waren. Ruhe war in den ersten Jahren kaum angesagt, dafür wurde nach getaner Arbeit umso heftiger gefeiert und flotte Sohlen auf die Tanzbretter gelegt.

Die Einwohnerzahl stieg ebenso schnell, sofern die Voraussetzungen – einschließlich Genehmigung für den Bau der meist kleinen Häuser mit niedriger Deckenhöhe – vorlagen, sehr viele als Dauerwohnsitz. Borkwalde hatte in den 1930er Jahren zeitgleich folgende Betriebe/Gewerbe:

  • 5 Kolonialwarenläden für Dinge des täglichen Bedarfs (auch Nägel, Dachpappe und Maschendraht)
  • 1 fahrender Händler für Obst und Gemüse
  • 1 Obst- und Pfirsichplantage
  • 3 Gaststätten
  • 1 bis 2 Sommergaststätten
  • 4 Baumschulen/Gärtnereien
  • 3 Brunnenbauer
  • 1 Sägewerk
  • 2 Zimmerleute
  • 3 Schreiner-/Tischlereien
  • 1 Restaurateur/Ebenist
  • 3 Baugeschäfte/Maurerbetriebe
  • 4 Fuhr-,Transport- und Speditionsbetriebe
  • 4 Kohlenhandlungen
  • 1 Autotaxe
  • 1 Fahrradwerkstatt
  • 1 Wäscherei
  • 1 Post- und Telegrafenhilfsstelle
  • 1 Farbenladen
  • 4 (Kunst)Maler, 1 Pianistin
  • 2 Goldschmiede
  • 1 Kartenlegerin
  • 1 Nutria-Farm
  • und mindestens 3 Freudenhäuschen…

 

Fleisch und Wurst wurden aus Rädel und Brück geliefert. Brötchen und Milch hingen morgens pünktlich am jeweiligen Gartentor sofern erwünscht.

Fast zeitgleich entstand durch den Investor „Wochenendbund für Sonnabendmittagsschluß“ auf der Kaniner Gemarkung auch die „Assmann-Siedlung“, die hinter dem heutigen Neubaugebiet und der Kaniner Straße liegt. Das Gelände war als Holzung und Heideplan/Heideackerenden ursprünglich Teil eines Kaniner Einhüfnergutes und hieß bei Siedlungsbeginn „Thielcher-Gelände“. Als der Fleischer Eugen Assmann in der Körnerstr. 7 einen Kolonialwarenladen eröffnete, entwickelte sich dieser zum dortigen gesellschaftlichen Mittelpunkt (Gebäude steht heute nicht mehr). Die Siedlung erhielt nun den umgangssprachlichen Namen „Assmann-Siedlung“, den sie heute noch trägt. Das Gelände gehörte als weiterer Siedlungsteil ebenfalls zur „Kolonie Wochenende“.

Deren Besiedlung und Bebauung war für die Grundstücksbesitzer schwierig und äußerst kostenintensiv, denn zu Beginn hatten sie außer ihren mageren Grundstücken nichts. Diese waren weder vermessen, noch aufgelassen und eingezäunt waren sie auch nicht – was Pflicht war. Erst nach der in allen Kolonien laut dem Ansiedlungsgesetz verpflichtenden Zahlung des Kulturgeldes erhielten sie eine Ansiedlungsgenehmigung, danach erst die Baugenehmigung. Die Siedler hatten weder eine eigene Wasser- oder Stromversorgung, kein Dach über dem Kopf, keinen bepflanzten Garten. Zudem musste mit dem zu zahlenden Kulturgeld etliches andere finanziert werden, z. B. unsere Holzkapelle in der Beethovenstraße (die heute älteste in hiesiger Gegend), die Friedhofsanlagen, der Straßenbau und die öffentlichen Brunnen, die öffentliche Stromversorgung und das künftige Wasserwerk (das nie gebaut wurde). Ursprünglich war eine Kirche mit 300 Sitzplätzen samt Pfarrhaus, Konfirmandensaal und Vereinsräumen geplant und auf einem großen Gelände am Rochowsteig (heute Am Sportplatz), eine Schule und ein Sportplatz. Letzterer entstand, die große Kirche und große Schule wurden nie gebaut. Man wollte zuerst abwarten, wieviel weiterer Zuzug erfolgt. Daher begann der erste Borkwalder Schulunterricht im Januar 1931 in einer kleinen Holzhütte auf einem Privatgrundstück zwischen Brücker und Siebenbrüderweg. Im Spätsommer 1931 war das Lehrerhaus mit zwei Wohnungen fertig, zusammen mit einem kleinen Schulanbau. Diese Schule und später auch das Lehrerhaus beherbergten unsere Schüler bis zu ihrer Schließung in den 1970er Jahren. Vor Januar 1931 besuchten unsere Schüler/innen entweder die Kaniner Halbtagsschule oder die Volksschule in Bork(heide), die sich im Wohlfahrtsgebäude der Mehlichwerke bzw. im Keller der alten Hans-Grade-Villa am Flugplatz befand.

Borkwalde
Postkarte von 1937 - Aufnahme seitlich vom Brücker Weg aus: Vorne der Schulbau, dahinter das ehemalige Lehrerhaus, links die Lehrergärten Haderlandstieg
Borkwalde
Schüler/innen vor der Borkheider Schule in Wohlfahrtsgebäude der Mehlichwerke
4. Kind rechts hinten: Gerhard Fengler

Aufgrund der vielen Schwierigkeiten, die in der großen „Kolonie Wochenende“ zu bewältigen waren, gründete der Siedler Dr. Heinrich Justen am 6.1.1927 den „Grundbesitzerverein Siedlung Wochenende e.V.“. mit einem siebenköpfigen Vorstandsteam und Paul Albrecht sen. als Vorstandsvorsitzender an der Spitze. Zweck des Vereins war u. a. die allgemeinen Interessen der Mitglieder hinsichtlich ihres Grundbesitzes wahrzunehmen und zu vertreten. Vornehmlich waren es Heinrich Justen und Paul Albrecht sen., die sich um alles Notwendige kümmerten und Borkwalde in jeder Beziehung zu einem lebensfähigen Ort machten. Sie führten die vielen und notwendigen Vertragsverhandlungen mit der Regierung, dem Kreis, dem Gemeindekirchenrat, mit unseren Muttergemeinden Kanin und Busendorf, dem Bauamt, der (Bau)-Polizeibehörde, den zuständigen Schulämtern u.v.m. Sie sorgten dafür, dass alle Auflagen erfüllt wurden – von der Vermessung des Geländes, der Versteinung der Grundstücke, der Vergabe der Straßennamen über die Beauftragung und Überwachung eines genehmigungsfähigen Generalsiedlungsplans bis hin zur öffentlichen Wasser- und Stromversorgung. Dr. Heinrich Justen und Paul Albrecht sen. opferten über Jahre ihre gesamte Freizeit zum Wohle aller Borkwalder Kolonien. Sie waren die eigentlichen Gründer von Borkwalde. Paul Albrecht sen. hat seine letzte Ruhestätte auf unserem Friedhof. Sein Grab gehört zusammen mit anderen zu einer Ehrengrabanlage. Dr. Heinrich Justen fand seine letzte Ruhestätte in Berlin, sein jüngster Sohn Eberhard Justen und Frau auf dem Borkwalder Friedhof.

Borkwalde
2015: Borkwalder Kapelle und Glockenturm

Als letzte im Bunde entstand direkt unterhalb der „Colonie Borkwalde“ ab 1927 die „Willmannsche Siedlung“ auf der Gemarkung Busendorf. Benannt nach ihrer von dort stammenden Gründerin Else Willmann, parzellierten und veräußerten sie und ihr Mann Ewald die Siedlergrundstücke selbst. Beide vorgenannten Kolonien, die seit fast 90 Jahren den umgangssprachlichen Namen „Alt-Borkwalde“ haben, waren in ihrer Entstehungszeit größer als heute. Erhebliche Teile fielen Enteignungen und erzwungenen Schenkungen zum Opfer.

Mittlerweile war es recht unübersichtlich, die einzelnen Siedlungen und Siedlungsteile auseinanderzuhalten. Behördlicherseits wurden sie 1932 laut Amtsdeutsch „zusammengefasst und benannt“ und erhielten den gemeinsamen Namen Borkwalde. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg blieben sie jedoch Ortsteile von Kanin und Busendorf und wurden erst danach eine eigenständige Gemeinde.

Die Zeit des Faschismus forderte auch von und in Borkwalde ihren Tribut. Es gab wie überall – sowohl eingefleischte Nazis als auch Mitläufer. Einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen oder ein Gewerbe auszuüben, ohne zumindest Mitglied der Nationalsozialistische Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zu sein, war fast unmöglich, wenn man von dieser Tätigkeit seine Familie ernähren musste. Borkwalde hatte zwar keine NSDAP-Ortsgruppe, tonangebend und hier wohnend war jedoch ein NSDAP-Ortsgruppenleiter, der sehr fleißig seiner Denunzianten-Tätigkeit nachging samt Meldung an die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Auch in der Siedlergemeinschaft war Vorsicht angebracht, denn mit den 1934 geänderten Bestimmungen des „Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ (sog. Heimtückegesetz) war Denunziantentum Tür und Tor geöffnet und an der Tagesordnung. Wer nicht im Zuchthaus landete (z. B. politisch Andersdenkende), wurde als männlicher Einwohner mit Beginn des Krieges an die Front geschickt – auch in nicht mehr wehrfähigem Alter. Etliche jüdische Siedlerfamilien, die sich nicht rechtzeitig ins Ausland absetzten, verschwanden auf Nimmerwiedersehen in Konzentrationslagern. Zur Ehre gereichte dem Ort etwas stiller Widerstand. So verdankte eine jüdische Familie anderen Einwohnern ihr Leben, darunter auch ein NSDAP-Blockleiter. Auch andere jüdische Einwohner wurden z. B. mit Lebensmitteln versorgt – je nachdem, in welcher der Kolonien sie lebten.

Borkwalde
Grab von Toni Emser im Jahr 2015

In den letzten Apriltagen, im Zusammenhang mit dem gescheiterten Vorrücken der Wenck-Armee der Wehrmacht auf Berlin, erreichte der faschistische Krieg noch Borkwalde. Der 17-jährige Soldat Toni Emser verlor am Rande des erzwungenen Abzugs der Wehrmacht sein Leben; sein von Anwohnern angelegtes Grab wird bis heute gepflegt.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee begann der Neuaufbau – unter größten Schwierigkeiten. An ihm nahmen auch Umsiedler, Flüchtlinge und Vertriebene teil, denen der Krieg die Heimat genommen hatte. Eine 1946 gegründete Gruppe der damals noch überparteilichen Freien Deutschen Jugend (FDJ) belebte das nach Kriegsende brachliegende kulturelle Leben über viele Jahre. Dazu wurde 1947 die Kulturbaracke auf dem Schulgrundstück gebaut, wo sie heute noch zu sehen ist. Am 1.3.1947 öffnete die erste KONSUM-Verkaufsstelle im ehemaligen Kolonialwarengeschäft von Max Dietrich (Ernst-Thälmann-Str./Ecke Fichtestraße).

Borkwalde
1930er Jahre: Erstes Kolonialwarengeschäft von Anna u. Max Dietrich jun. am Hindenburgdamm /
Ecke Fichtestraße
Borkwalde
rechts: gleiches Haus, von Fam. Dietrich aufgestockt/erweitert; 1947 Nutzung als Konsum, in DDR-Zeit Gemeindebibliothek mit Anbau einer Poststelle (links), Aufnahme von 1978

Als die Familie Haus, Geschäft und Grundstück zwei Jahre später zurückerhielt, übernahm Familie Alfred Wulkow in der Lehniner Straße (gegenüber der heutigen Kindertagesstätte) die KONSUM-Kommissionsgeschäfte. Da der Schulunterricht später im Lehrerhaus stattfand und samt ursprünglichem Schulbau ab Sommer 1973 leer stand, wurde dieser um einen Anbau erweitert, wo am 8.2.1978 ein neuer KONSUM seine Pforten öffnete. Lehrerhaus, Schulbau samt KONSUM-Anbau verkaufte die Stadt Beelitz im Auftrag der Gemeinde Busendorf nach der Wiedervereinigung an Privatbesitzer. Sie sanierten das ehemalige Lehrerhaus. Die einstige Schule wurde bis auf das Fundament abgetragen, das heute als Terrasse dient. Im ehemaligen Schulnebengebäude befindet sich heute der Hauptbau des „Wirtshauses am Siebenbrüderweg“.

Als letzte, in Borkwalde noch existierende Gaststätte schloss das „Wirtshaus am Siebenbrüderweg“ Anfang November 2021 seine Türen. Nachfolger fanden sich nicht. Die Gaststätte wird künftig wohl als Privathaus genutzt werden.

 

Borkwalde
Borkwalder KONSUM 1982, rechts das ehemalige Lehrerhaus, in der Mitte unsere ehemalige Schule
Borkwalde
DDR Kindergarten Anfang der 1980er Jahre

1962 empfing im ehemaligen Restaurant Hubertus (heutiges Kita-Gelände) der erste Borkwalder (Saison)-Kindergarten seine Schützlinge. Nach dessen Abriss entstand dort der DDR-Kindergarten, der im Spätsommer 1975 seiner Bestimmung übergeben wurde. Auf dem gleichen Gelände entstand die heutige Kita „Regenbogen“. Die Einweihung erfolgte am 16. Juni 2000. Der alte, dahinterstehende DDR-Kindergarten wurde im Dezember 2002 abgerissen.

Nach dem Bau der Berliner Mauer ab 13. August 1961 und der Abriegelung der deutsch-deutschen Grenze konnten bzw. durften viele ehemalige Siedler, die entweder noch oder wieder in Westberlin wohnten, ihre hiesigen Grundstücke nicht mehr nutzen. Um deren gänzlichen Verfall zu verhindern, entwickelte sich Borkwalde ab 1962 zu einer so genannten Urlaubsgemeinde. Werktätige aus den Chemiezentren des DDR-Bezirks Halle konnten über die Betriebe hier in frischer, sauberer Luft Urlaub machen. Viele Arbeiter und Angestellten mit ihren Familien aus Halle, Merseburg, Bitterfeld, Wolfen und Dessau konnten sich in den Folgejahren über ihre Betriebe in unserer Gemeinde Urlaubs- und Wochenendparadiese erschließen. Zum Teil hält ihre Liebe bzw. die ihrer Nachfahren zu unserem Ort bis heute an.

Viele, vor allem durch die Kriegs- und Nachkriegs-Notjahre Hinzugezogene, suchten ihr Glück in den Städten und anderswo. Die Bevölkerungszahl sank von 763 im Jahr 1946 – als Hunderte durch die Kriegs- und Nachkriegswirren hier Unterschlupf fanden – auf 379 im Jahr der Grenzöffnung 1989.

In DDR-Zeiten arbeiteten die Borkwalder zum größten Teil nicht im Ort, sondern im Geflügelschlachthof oder im VEB Möbelkombinat, beides in Borkheide, oder auf dem ab Anfang der 1950er Jahre für die Nationale Volksarmee eingerichteten nahen Truppenübungsplatz. Der größte Betrieb im Ort war das 1991 geschlossene Sägewerk Borkwalde, VEB Holzindustrie Potsdam-Mitte. Einige arbeiteten auch im Waldbau oder in der Gemeindeverwaltung, andere pendelten nach Potsdam oder Brandenburg. Borkwalde gehörte von 1952 bis 1989 zum DDR-Bezirk Potsdam und zum Kreis Belzig.

Borkwalde
Anfang der 1980er Jahre aus Richtung Arndtstraße: Holzplatz des Sägewerks; im Hintergrund: Halle mit Gattersäge

Um an dieser Stelle einige Zahlen zu nennen: 1976 wurden in unserer Gemeinde 321 Grundstücke zu Erholungszwecken genutzt. Borkwalde hatte 434 Einwohner, davon 105 Kinder/Jugendliche sowie 116 Rentner. Unsere Gemeinde umfasste 214 Hektar Wald und bebaute Flächen, hatte 27 Kilometer Straßen. Im Durchschnitt war das Haus eines Einwohners 100 Meter vom nächsten entfernt. 145 Einwohner arbeiteten 1976 außerhalb der Gemeinde. Im Ort gab es:

  • 1 Vertragswerkstatt für Personenfederwaagen
  • 1 KONSUM -Verkaufsstelle
  • 1 KONSUM -Fleischverkaufsstelle
  • 1 Gaststätte (am heutigen Kreisverkehr)
  • 1 Poststelle mit einer Leiterin und zwei Postzustellern
  • 1 Annahmestelle des Dienstleistungsbetriebes Belzig.

 

Nach der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten gab es 1992 im Ort folgende Betriebe: Dachdeckerei Fiebiger, Heizungs- und Sanitärbau Knoppik, Elektroinstallation Mittelbach, Malerbetrieb Lenz und Gärtnerei Stiehler. Sie ist der älteste Gewerbebetrieb in Borkwalde und wurde als Handelsgärtnerei „Birkenhof“ am 1.8.1919 von Richard Uetze in Stahnsdorf gegründet. 1942 zog die Gärtnerei nach Borkwalde um und wird heute vom Enkel Ulf Stiehler geleitet.

Borkwalde
Gärtnerei Uetze - Mitte der 1940er Jahre
Borkwalde
Gärtnerei Stiehler im Jahr 2012

Für den Schutz vor Bränden sorgt die sehr engagierte Feuerwehr, deren Wurzeln bis in das Jahr 1931 zurückreichen.

Einen tiefen Einschnitt bedeutete die Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990. Ihr für Borkwalde sichtbarstes Ergebnis sind die Mehrfamilien-Holzhaussiedlungen und das heutige Neubaugebiet. Das erste dortige Einfamilienhaus feierte am 17.10.1994 im Elsa-Beskow-Weg Richtfest. Die erste von drei Bauabschnitten ab 1991 begonnene Bebauung der Mehrfamilien-Holzhaussiedlungen entstand rund um den Astrid-Lindgren-Platz mit einem von der schwedischen Partnergemeinde Götene gestifteten Brunnen. Das erste bezugsfertige Gebäude war die Kaufhalle (Grundsteinlegung 1991). Als Nachmieter folgten ein „Schlecker“-Drogeriemarkt und nach längerem Leerstand die Senioren-Tagesstätte „Lebensfreude“. Die Einweihung des einstigen „Blauen Wunders“ (wegen seiner Fassadenfarbe), das mit seiner Rückseite wie eine Trutzburg Richtung Ernst-Thälmann-Straße am Kreisverkehr steht, beherbergte anfangs das beliebte Restaurant „Pippi L.“, ein kleines Gemeindebüro und eine Zahnarztpraxis. Nach Umbau ist das „Blaue Wunder“ heute schwedenrot, darin die Zahnarztpraxis Haas, seit November 2005 die Wald-Apotheke und die Praxis für Physiotherapie Ott. Außerdem befindet sich gegenüber der Friseursalon KreHAARtiv Freischmidt.

In der im zweiten Bauabschnitt entstandenen Mehrfamilien-Holzhaussiedlung am Selma-Lagerlöf-Ring befindet sich eine Hausarztpraxis mit zwei Ärztinnen, an der Lehniner Straße im Ortszentrum ein Bolzplatz mit Kleinkindspielbereich. Unsere Gemeinde zählt derzeit 1.742 Einwohner und  als Zweitwohnsitz: 107 Bürger (Stand: 12.05.2021), die nun an der weiteren Zukunft von Borkwalde bauen.

Stand: Mai 2021

Text Kursivschrift:

Eva Matis, ehemalige Borkwalder Chronistin,
Buch-Autorin „Und es kamen Siedlertypen

Borkwalde: Gründung und Erstbesiedlung“

Text ohne Kursivschrift:

Dr. sc. Lothar Schröter

Text:  Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise sowie Veröffentlichungen jeder Art nur mit ausdrücklich schriftlicher Genehmigung der Autorin bzw. des Autors.
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Weitere historische Bilder von Borkwalde

Foto im Header: Eva Matis
Die Fotos zwischen den Texten wurden freundlicherweise bereitgestellt von Eva Matis

10 Fotos 1980er Jahre: Erhard Korge

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